Bürger des Himmels

Ein Brief, den ich neulich bekam, machte mich

nachdenklich. Er war von Sonja Kolb, der ersten Vorsitzenden des Zwischenraum e.V., bei dem ich Mitglied bin und hatte das Thema „Bürger des Himmels“. Mit Ihrer freundlichen Genehmigung (und der Zustimmung des Vorstands von Zwischenraum e.V.) darf ich ihn hier rebloggen – d.h. weitergeben.

Sie beschreibt darin die Erfahrung vieler Christen, die nach ihrem Coming out in einer Gemeinde Probleme bekamen und nun auf die Frage „Geht ihr in eine Gemeinde?“ oft nur eine negative Antwort haben. In evangelikal geprägten Gemeinden, aber auch in der orthodoxen und katholischen Kirche scheint mir das leider besonders häufig der Fall zu sein. Dabei sind es oft evangelikal geprägte Christen, die das Thema Gemeindeaufbau im Fokus haben. Wie passt das zusammen?

Ich erlebe es genau wie Sonja Kolb es beschrieb: Uns trägt vor allem der Glaube – der Glaube an einen Gott, der uns so annimmt und liebt, wie wir sind und der uns das Bürgerrecht im Himmel schon verliehen hat – ein für allemal durch Jesu Tod am Kreuz. Mit dem „Bodenpersonal“ Jesu dagegen gibt es immer wieder Probleme, wenn man ein Coming out hinter sich hat. Da gibt es welche, die homosexuelles Verhalten als „Sünde“ bezeichnen und dabei einige Bibelstellen herauspicken, die das ihrer Meinung nach belegen. Historisch-kritische Forschung wird dabei leider genauso oft ausgeblendet wie grundlegende systematisch-theologische Fragestellungen. Zum Beispiel die Frage, ob es Sünden gibt, die schwerer wiegen als andere?
Jesus unterschied bei den Sündern nicht nach „Todsünden“ und „lässlichen Sünden“. Er starb für alle Sünder und seine Erlösungstat am Kreuz gilt allen, die an ihn glauben. 

Darum ist es wichtig, im innerchristliche ökumenischen Dialog uns auf die Bedeutung von Jesu Tod und seine Auferstehung zu beziehen. Eine Bibelstellenpickerei, die sich nur die Bibelstellen herauspickt und dann auf LSBTTIQ bezieht, die deren „Sündhaftigkeit“ betont, aber nicht vor der eigenen Haustür kehrt, gleicht dem, was Jesus im Gleichnis vom „Splitter und Balken“ betont (Mt 7,1ff).
Jesus lädt alle Menschen zur Umkehr ein – und er macht das dort, wo Umkehr auch möglich ist – also in den Bereichen, die wir als Menschen bewusst verändern können, wenn wir es wollen. Zum Beispiel beim Geiz, bei Ehebruch, bei der Lieblosigkeit und vielen anderen menschlichen Schwächen.
Wenn Gottes heiliger Geist einen Menschen erfüllt, dann wird er von den „Werken des Fleisches“ ablassen und „Früchte des Geistes“ bringen (vgl. Gal 5,16-26).

Allerdings ist die Frage, ob und wie ein Mensch Verantwortung übernehmen kann für sein Leben und was letztlich vielleicht neuronal so verankert ist, dass es de fakto nicht veränderbar ist und daher auch bei der Einladung zur Umkehr nicht Thema ist bzw. sein kann.
Bei Transsexualität gehen immer mehr Neurowissenschafter von einer vorgeburtlichen Verankerung in neuronalen Strukturen aus (NVSD: neuronale Variation der sexuellen Entwicklung bzw. in englischer Sprache neuronal Variation of sexual development). Dazu habe ich hier im Blog ja schon viel geschrieben.
Auch lesbische und schwule Menschen spüren am eigenen Leib oft, dass sogenannte „Konversionstherapien“ nichts bringen und entsprechende Angebote mit wissenschaftlicher Seriosität nichts zu tun haben. Wissenschaftliche Fragestellungen und neue Sichtweisen auf „heilige“ Texte sind aber bei der Sexualethik genauso relevant, wie alte Überlieferungen. Bei der Auslegung der Bibel gilt es, nicht nur das „Alte“ (Mt 13,52) aus dem Schatz des Glaubens herauszuholen, sondern auch neuen Sichtweisen (vgl. Mt 13,52) nicht gleich Häresie zu unterstellen. Man sollte vielmehr prüfen, ob sie im Sinne Jesu sind. Dabei geht es letztlich um die Frage: Was ist der innere Sinn eines Gebots bzw. einer Satzung? (vgl. Mt 15,1-20 – zu „Unzucht“ hier ein lesenswerter Artikel.)
Entscheidend ist auch bei der Schriftauslegung das, was Jesus selbst als höchstes Gebot, also Maßstab auch für die Auslegung der Bibel, verstand: Das Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22,36-40) – und Jesus macht nicht nur hier, sondern auch an vielen anderen Stellen des Neuen Testaments deutlich:
Diese Liebe bezieht sich nicht nur auf Gott, nicht nur auf die eigene Gemeinde oder die „Brüder“, sondern auf alle Menschen, sogar auf die Feinde (vgl. Mt 5,43-48).
Und bei diesem höchsten Gebot fordert er seine Jünger zur „Vollkommenheit“ (Mt 5,48) auf!
Dieses Liebesgebot wird im Neuen Testament selbst Maßstab für neue Fragestellungen und Auslegung der Bibel – auch im Bereich der Sexualität!

Das sieht man zum Beispiel an der Frage, ob das Gebot der Beschneidung für Christen genauso gelten soll wie für die, die schon immer im Judentum verankert gewesen sind. Oder man sieht es an der neuen Stellung der Eunuchen, wie sie an der Beispielgeschichte in Apostelgeschichte 8 klar wird. Während in den 5 Büchern Mose zu finden ist, dass Eunuchen (Lutherübersetzung: „Verschnittene“) nicht zur Gemeinde gehören dürfen, zeigt Apg 8, dass der Kämmerer aus dem Morgenland unbedingt getauft werden soll – und damit Vollmitglied in der christlichen Kirche sein darf! Das – ist nicht nur eine Idee des Philippus – so Apg 8, sondern Wirken des Geistes!

Angesichts solcher innerbiblischen Veränderungsprozesse und neuer Sichtweisen im Blick auf eine Sexualethik sollten Christen, denen die Bibel (sola scriptura) und der Glauben (sola fide) wie auch Jesus Christus (solus christus) wichtig sind, auch ihre Haltung gegenüber LSBTTIQ überdenken und ggf. umkehren und ein neues Miteinander suchen, damit künftig Christen nach einem Coming out sich in möglichst vielen Gemeinden eingeladen fühlen.

Auch wenn wir beim Liebesgebot immer wieder scheitern – wir sind alle eingeladen, umzukehren und neu anzufangen!

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Eine Antwort zu Bürger des Himmels

  1. Maria Mayer sagt:

    Danke für diesen wunderbaren Text, liebe Dorothea, ich habe ihn mir abgespeichert.

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