Hilfe, mein Kind hat sich als Frau geoutet…

Manchmal erreichen mich Anfragen von Eltern, deren Kind sich geoutet hat (z.B. als Frau trotz XY Chromosomensatz). Man habe bei ihr ja eigentlich die ganzen Jahre gar nichts gemerkt und nun mit 18 dieses Coming out…

Was sollen betroffene Eltern tun?

Zunächst ist klar: So ein Coming out ist für die anderen Angehörigen oft ein Schock und es braucht auf allen Seiten Zeit und Verständnis. Um das Verständnis kann man sich aktiv bemühen und sich informieren.

Dazu empfehle ich z.B. das Buch „Anne wird Tom, Klaus wird Lara“ von Prof. Udo Rauchfleisch. Ich habe hier im Blog schon mehrfach darüber geschrieben und in Absprache mit dem Verlag und Udo Rauchfleisch ein Stichwortregister zum Buch erstellt. Dieses Buch enthält auch ein Kapitel für betroffene Eltern, genauso wie eines für Lehrer, Ehepartner usw… und es ist für Menschen geschrieben, die ganz plötzlich mit dem Thema zu tun bekommen haben und noch mehr oder weniger gar nichts dazu wissen.

Daneben gibt es Facebook-Gruppen, in denen manchmal auch Angehörige mit beraten werden (z.B.  TGG Germany – gerne verlinke ich hier weitere Facebook-Gruppen, in denen Angehörige explizit willkommen sind. Bitte ggf. Info an mich!).

Hilfreich ist auf alle Fälle, die eigene Tochter, den eigenen Sohn oder ein nichtbinäres Kind zu unterstützen, denn die innere Auseinandersetzung, die man mit sich selbst führt ist schon schwer genug und das lange Verfahren der begleitenden Psychotherapie und Begutachtung empfinden viele auch als Last. Dazu kommen meistens Probleme mit dem Umfeld (z.B. Mobbing durch Schüler der gleichen Klasse/Schule, die Frage, wie man den Sportunterricht regelt, wie man in Zeugnissen der Schule namentlich erwähnt wird usw…), die einen subjektiv belasten.

Diese Unterstützung durch die Eltern kann damit anfangen, dass man versucht, den neuen Vornamen zu akzeptieren, zu verwenden (erfordert anfangs Übung) und nachzufragen, was der/die Betroffene evtl. an weiterer Hilfe und Unterstützung braucht.

Manche sind auch deshalb schockiert, weil das, was man „normalerweise“ mit dem Thema verbindet (d.h. entsprechendes Rollenverhalten im Blick auf Kleidung, Schminken…) nicht vorhanden war oder ist.
Dazu sollte einem bewusst werden, das es keine einzige wissenschaftlich fundierte Studie gibt, die klar auf Grund äußerer Merkmale (Rollenverhalten) eine Diagnose von Außen ermöglicht. Deshalb lehnen auch viele Verbände Betroffener (z.B. VDGE e.V., DGHCE, trans-evidence, DGTI…) die psychiatrische Begutachtung ab.
Vielmehr gilt das, was führende Neurobiologen sagen: Es handelt sich hier um neuronal verankerte Varianten der Geschlechtsentwicklung (vgl. z.B. die Informationen der Uniklink Ulm, die das hier zusammenfasst unter „psychischem Geschlecht“). Das bedeutet: An aller erster Stelle ist zunächst einmal den Betroffenen selbst früher oder später klar, was Sache ist. Erst danach kommt dann das Coming out…
Und auf Grund dessen, dass es nicht „die Transsexualität“ oder nur genau eine Ausprägung davon gibt, sondern viele Varianten der Geschlechtsentwicklung (sexual development), ist dann auch klar: Je nachdem, wie stark eine Variation von einer „Norm“ (d.h. „Norm-Frau“ oder besser „Mittelwert von dem, was wir als Konzept von „Frau“ im Kopf haben – und umgekehrt „Mittelwert von dem, was wir als Konuept von „Mann“ im Kopf haben) abweicht, zeigt sich das entweder auch in äußeren Verhaltensmerkmalen stark, weniger stark oder gar nicht.
Entscheidend ist aber nicht das äußere Verhalten, sondern die innere Wahrnehmung der Diskrepanz bzw. Inkongruenz zwischen dem, wie man sich selbst erlebt im Blick auf sein neuronales (psychisches bzw. Hirn-) Geschlecht. Manche spüren schon im Alter von drei oder vier Jahren, dass da eine Inkongruenz vorhanden ist und signalisieren das dann den Eltern (wie die Berichte bei Trakine e.V. zeigen). Andere spüren das in der Pubertät, können oder wollen aber in der Zeit sich noch nicht gegenüber den Eltern outen, sondern „probieren sich“ erst einmal in Rollenspielen am Computer aus und outen sich erst dann, wenn die Inkongruenz massiver geworden ist (was ja auch von der Dauer der Wirkung der Geschlechtshormone abhängt). So gibt es ganz unterschiedliche Zeitpunkte, ab wann jemand sich entscheidet, sich zu outen. Bei mir selbst war das erst spät der Fall – ich versuchte jahrelang, dagegen anzukämpfen….

Weitere Literatur zum Thema, die betroffenen Eltern weiterhelfen kann:

  • Die Broschüre „Zum Bilde Gottes geschaffen – Transsexualität in der Kirche“ mit Berichten betroffener Menschen, Fachartikeln usw…
  • Das Buch „Das Geschlecht in mir“, Hg. Gerhard Schreiber – mit vielen Fachinformationen der internationalen interdisziplinären Konferenz, die 2016 zum Thema an der Goethe Uni Frankfurt stattfand. Das Buch enthält unter anderem eine Studie von Dr. Kurt Seikowski an über 1000 Betroffenen im Blick auf den Nutzen der Hormontherapie…

Gerne ergänze ich den Artikel – bitte Feedback (z.B. per Kommentar).

 

 

 

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