Gute Kompromisse wären manchmal hilfreich,

auch wenn es um scheinbar unlösbare Konflikte geht. Besonders sind solche Kompromisse in einer Demokratie nötig, wenn eine Minderheit die Mehrheiten in der Politik braucht, um etwas verändern zu können. Das gilt natürlich auch im Blick auf das TSG und eine bessere Alternative dazu bei der Vornamens- und Personenstandsänderung. Das gilt aber auch im Blick auf die Psychopathologisierung und Abhängigkeit von Patienten von ihren Ärzten bei der medizinischen Behandlung einer Geschlechtskörperdiskrepanz.

Die Idee einer Beratung analog zur Schwangerschaftskonfliktberatung und eines damit verbundenen Beratungsscheins hatten etliche Betroffene ja schon 2014 im „Landshuter Modell“ verankert. Und im Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz und die Angst vor Missbrauch habe ich andernorts dazu schon einen Vorschlag gebloggt.

So eine Beratung wird bei Schwangerschaftskonflikten derzeit von verschiedenen Institutionen/Trägern angeboten (z.B. AWO, Diakonie…). Damit verbunden ist eine größere Wahlfreiheit, sich die Beratungsstelle auszuwählen, als wenn – wie beim TSG-Verfahren – einem Gutachter zugeteilt werden… – und: Es sind keine Psychiater, es braucht keine begleitende Psychotherapie, sondern eine einmalige Beratung reicht aus, wenn Betroffene Hilfe suchen.

Nun hat ein Sozialarbeiter bei der AWO nicht die medizinische Ahnung, die ein Facharzt hat – aber das haben die Peer-Berater von den verschiedenen Vereinen in der Regel auch nicht. Umgekehrt ist ein Berater aber auch nicht in das System „Krankenhaus“ eingebunden und finanziell mit ihm verflochten bzw. finanziell unabhängiger als ein Arzt mit eigener Praxis, der eigene betriebswirtschaftliche Interessen verfolgen muss.

Wie sehr Lobbyismus und finanzielle Interessen bei dem Thema leider eine Rolle spielen, sieht man bei der Verwendung von Medikamenten wie CPA, deren Nutzen seit langem stark in Frage gestellt ist, die aber (anders als in den USA) immer noch auf dem Markt sind (dazu an anderer Stelle in diesem Blog mehr).
Und in der Szene der Betroffenen ist auch bekannt, dass es Chirurgen gibt, die zwar sich selbst gut vermarkten (z.B. in social media Kampagnen und Postings), deren tatsächliche Fähigkeiten aber alles andere als gut sind.
Wer dann in einer Klinik diejenigen Patient:Innen besucht, die von solchen Chirurgen „vermurkst“ wurden und zig Nachoperationen brauchten, der wird auch skeptisch, wenn immer nach dem „informed consent“ gerufen wird, bei dem ein unabhängiger Berater erst einmal nicht dabei ist.
David Finkelhor wies auf das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern hin, das beim Thema „informed consent“ eine Rolle spielt. Man muss aber dieses Machtgefälle auch bei anderen Beziehungen zwischen Arzt und Patienten genauer anschauen, vor allem dann, wenn es um kleine Populationen von Betroffenen geht (anders als etwa bei Blinddarmoperationen, die viele Patient:innen betreffen). Denn wenn so ein consent nur zwischen Arzt und Patienten erfolgt, hat das den Nachteil, dass das Machtgefälle zwischen Arzt und Patient entsprechende negative Folgen haben kann:
So können derzeit z.B. Endokrinologen ohne Probleme CPA an viele Betroffene verschreiben, weil diese eben keine neutrale Beratung in Anspruch nehmen können, die um die Risiken von CPA weiß. Gleiches gilt bei Chirurgen, die ihr Fach nicht verstehen und bei denen ein hohes Risiko an Komplikationen besteht. Da vertrauen viele erst einmal „dem Onkel Doktor“ und haben oft auch gar nicht die Zeit oder Möglichkeit, sich entsprechend gründlich über Goldstandarts der Forschung zum Thema zu informieren. Damit aber zeigt sich: Es ist Machtgefälle zwischen Arzt und Patient fast immer vorhanden, das oft zu Lasten der Patienten geht (zumal, wenn neben dem Wunsch des Arztes zu heilen noch andere Wünsche mitspielen, die nicht unbedingt den Patienteninteressen entsprechen, sondern mehr den Aktionären von Medikamentenherstellern oder Klinikkonzernen).

Im Unterschied zu Peer-Beratern und Vereinen, die sich nach einer gewissen Zeit oft aus dem Thema wieder herausziehen (in der Regel oft dann, wenn die Zeit der eigenen Angleichung vorbei ist), haben staatlich beauftragte Beratungsstellen den Vorteil von mehr Kontinuität in der Beratung.

Wenn man daher Fortbildungen zum Thema „Studien zu Transsexualität“ oder „Hormontherapie bei transsexuellen Menschen“ oder „der chirurgische Gold-Standart bei … Operationen“ anbieten will, dann wäre diese Zielgruppe daher auch mittel- und langfristig wichtiger, als einzelne Betroffene, die nach der Angleichung sich wieder aus der Community zurückziehen.

Genau so, wie bei der Schwangerschaftskonfliktberatung muss natürlich eine Beratung von Menschen mit Variante der Geschlechtsentwicklung ergebnissoffen sein. Das einzige Ziel muss die Unterstützung der Betroffenen sein – und ggf. die Dokumentation der geplanten Maßnahmen, damit ggf. Mediziner, die ihr Fach nicht beherrschen (es gibt leider Chirurgen, bei denen das der Fall ist und deren Opfer dann viele Nachoperationen brauchen) unabhängig vom Patienten ermittelt werden können, weil die Beratungsstelle auch die Chance bietet, Patientenbeschwerden zu sammeln und ggf. Konsequenzen zu ergreifen. Das müsste natürlich dann auch deren Auftrag sein – ebensoso, wie umgekehrt der Beratungsschein einen gewissen Schutz vor Regressansprüchen bieten muss, wenn ein Mediziner nach dem Stand der Wissenschaft arbeitet. Das gehört natürlich auch analog zur Schwangerschaftskonfliktberatung geregelt.

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