„Gott macht keine Fehler“ ist

eine Aussage, die von bestimmten frommen Kreisen immer gerne wiederholt wird, wenn diese eigentlich zu bequem sind, sich tiefer mit einem Thema zu beschäftigen. Wer als Mensch mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung (Trans* / Inter*) so etwas hört, ist oft verletzt und zieht sich zurück – viele, die ich kenne, sind dann irgendwann aus der Kirche ausgetreten, wenn sie solche Menschen erlebt haben.

Heute möchte ich mich deshalb einmal vertieft solchen Sätzen widmen.

Als Theologin glaube ich durchaus, dass so ein Satz rein abstrakt stimmt. Wenn es nur Gott geben würde und wir im Paradies wären, dann würde das alles stimmen. Da gibt es kein Leid und da wird es am Ende der Zeit kein Leid mehr geben. Darauf vertraue ich.

Aber: Wir leben nicht (mehr / noch nicht) im Paradies, sondern in der „gefallenen Welt / Schöpfung“, wie die Theologen den Sündenfall in Genesis 3 und seine Folgen beschreiben. Wir haben keinen direkten Zugang mehr zu Gott, wir können ihn nicht sehen – es sei denn, Gott offenbart sich. Und das tat er in Jesus Christus. Aber auch zur Zeit Jesu gab es Menschen, die meinten, selbst direkt zu wissen, was Gottes Plan ist und was nicht. Entsprechend war klar: Wenn jemand blind geboren ist, muss es dafür eine Ursache geben, die nicht bei Gott liegt. Also: Sünde. Wer schlechtes tut, erfährt entsprechende Konsquenzen. Tun und Ergehen hängen in dieser Logik direkt zusammen.

Jesus aber macht laut Johannes 9,1-7 deutlich: Selbst diese Logik ist falsch. Es kann ganz andere Gründe haben, warum ein Mensch blind geboren ist – und es juckt ihn herzlich wenig, welche Gründe es hat. Ihm ist der Mensch, den er vor Augen hat und sein Leid wichtig – und er heilt ihn, weil das Gottes Auftrag an ihn in diesem Fall ist (Joh 9,4-5), das Licht Gottes zu sein und in Gottes Sinn zu wirken. D.h. Gottes Sinn war eben nicht Leid zu vermehren, sondern Leid zu verringern. Entsprechend handelte Jesus hier.

Ganz ähnlich war das bei der Begegnung mit Leprakranken. Jesus hat keine Berührungsängste, sondern nimmt ihnen das Leid der Ausgrenzung und das Leid in Folge ihrer Krankheit.

Und in Apostelgeschichte 8 wird deutlich: Ein Eunuch (Kämmerer aus dem Morgenland) begegnet Philippus, weil Gottes Geist den Philippus zu diesem Menschen hinführt. Am Ende dieser Begegnung steht nicht eine wundersame Heilung des Eunuchen, sondern durch die Taufe die Aufnahme in die Gemeinde und Kirche. Gott selbst will das.

Wer also andere ausgrenzt, weil er oder sie mit dem Leid eines Menschen, was vor Augen ist, nicht klar kommt, der handelt nicht im Sinne Jesu. Und wer meint, über Gottes Pläne und seinen Willen spekulieren zu müssen (dazu auch im Blog das, was ich zur „Schöpfungsordnung“ geschrieben habe), der sollte sich mal wieder mehr mit dem Neuen Testament selbst beschäftigen und es einmal darauf hin durchlesen, ob es irgendwo eine Geschichte gibt, in der Gott jemanden deshalb von der Gemeinschaft ausschließt, weil dieser Mensch von Geburt an ein Handicap (egal, ob eine körperliche oder neuronale Variante) hat. Ich bin schon sehr gespannt, ob jemand per Kommentar mir eine entsprechende Geschichte zeigt… – mir ist jedenfalls in diesem Sinn nichts bekannt.

Prof. Dr. Milton Diamond - Foto: Dorothea Zwölfer

Prof. Dr. Milton Diamond an der Goethe Universität in Frankfurt a.M. (2016). Foto: Dorothea Zwölfer (Urheberrecht bei D. Zwölfer)

Und eines sollte eigentlich einem aufmerksamen Leser:in dieses Blogs klar sein: Transsexualität ist eine vorgeburtlich angelegte neuronale Variante der sexuellen Entwicklung (NVSD).
D.h. ein betroffener Mensch hat keine Schuld und auch die Eltern nicht.
Viel mehr sollten sich solche Christen mit dem Thema „endokrine Disruptoren“ oder anderen hormonähnlichen Substanzen (z.B. DES: „Dazu gehörten neben dem vermehrten Vorkommen seltener Krebsarten auch andere Anomalien des Fortpflanzungsapparats.“) bzw. Diethylstilbestrol) auseinandersetzen.

Denn diese können vorgeburtlich entsprechende Entwicklungen im Mutterleib auslösen, wie Milton Diamond im Blick auf Testosteron bei Meerschweinchen zeigte (hier in einem sehr lesenswerten Interview mit ihm in deutscher Sprache).

Und man sollte sich dazu fragen, ob es ähnlich wie beim Tabak auch hier Agnotologie (z.B. via Detektor.fm und hier bei Spektrum oder hier  bei Wikipedia) und/oder Leugnung von wissenschaftlichen Fakten (sehr lesenswert zur Frage, warum wir Fakten aus psychologischer Sicht leugnen ist dazu dieser Beitrag bei Spektrum) gibt, die letztlich die Gesellschaft polarisieren und spalten will, um Gesetzesänderungen zu verhindern oder aufzuschieben.

Update Via Videomitschnitt der Mediathek des Wiss. Kollegs der Uni Greifswald kann man hier einen Vortrag von Prof. Dr. Martin Carrier (Bielefeld) zum Thema Agnotologie anhören.

Dieser Beitrag wurde unter Bildung, Gehirn, Glauben und leben... abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu „Gott macht keine Fehler“ ist

  1. Liebe Dorothea, Du hast mit Deinen Ausführungen meine volle Überzeugung getroffen.
    Ich habe nie verstanden, warum Menschen, die sich Christen nennen, so oberflächlich mit Gegegebenheiten umgehen. Denn unser Glaube verpflichtet uns, nach der Wahrheit zu suchen. Nur so kann es in der Gesellschaft gerechter zugehen. Ich begreife nicht, dass wenn die „Liebe Gottes“ ständig im Munde geführt wird, die Inhalte von Gesetz und Evangelium willkürlich vertauscht werden und so gegen den Segen Gottes gearbeitet wird.

  2. Maria Mayer sagt:

    Liebe Dorothea, danke für diese fundierte Argumentation, die ich 100% mit unterschreiben kann. Habe mir den Text kopiert und abgespeichert, ich werde ihn mit Sicherheit noch in einer Diskussion brauchen können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert