Kennen Sie schon die neueste Verschwörungstheorie?

Sie lässt sich kurzgefasst so beschreiben: „Weil die Pharmaindustrie daran verdient, konsumieren trans* Menschen fröhlich deren Produkte und fallen darauf rein“.

So ähnlich läuft manches Argumentationsmuster in social media wie Twitter und so ähnlich formulierte es z.B. Elfriede Hammerl: „wer aller verdient am Hype um die Geschlechtervielfalt. The Winner is …? Richtig, die Pharmaindustrie. Die plastische Chirurgie.“ (Quelle: Profil.at hier verlinkt.).

Warum aber ist das eine neue Verschwörungstheorie?

Weil die Fakten ganz anders sind:

Zunächst einmal klingt der Verschwörungsmythos von der bösen Pharmaindustrie ja so, als ob jemand deshalb eine Hormonersatztherapie anfängt, weil die Werbung dafür so gut ist.
Doch dem ist nicht so. Im Gegenteil:
Wer sich informiert, merkt schnell, wie problematisch manche Medikamente sind, welche Nebenwirkungen sie haben (siehe „CPA“ in diesem Blog und Kritik an der Art, wie dieses Medikament an Behinderten erprobt wurde (SZ 2019, Titel: Projekt SH 8.0714 – eine dunkle Episode der Medikamentenforschung)).
Abgesehen davon zeigen Studien wie die von Dr. Kurt Seikowski, der als klinischer Psychologe eine Studie an über 1000 Menschen mit neuronaler Variante der Geschlechtsentwicklung durchführte, wie effektiv die Hormontherapie den Leidensdruck mindert (man findet die Studie in G. Schreiber (Hg.), Das Geschlecht in mir). Damit sinken aber die Kosten für unnötige Behandlungen, die sonst durch Komorbiditäten entstehen (z.B. Depressionen, Suchterkrankungen usw…). Und klar ist auch: Der diagnostizierte Leidensdruck ist Voraussetzung für jede Indikation und jedes Rezept, das eine Krankenkasse bezahlt (egal, was es für Werbung gibt).

Der Leidensdruck entsteht auf Grund geschlechtsleiblicher, neuronal verankerter Diskrepanzerfahrungen, die Betroffene oft schon seit frühester Kindheit aufzählen können. Diese Diskrepanzerfahrungen können sich z.B. in Phantomkörperwahrnehmungen zeigen, wie sie V.S. Ramachandran in einer Studie belegte. Zur neurobiologischen Verankerung von VSD habe ich schon viel andernorts hier gebloggt. Das geschieht vorgeburtlich und ist fest verankert. Darum gibt es das Phänomen in allen Kulturen und zu allen Zeiten, auch wenn die Namen dafür verschieden sind… (mehr dazu in G. Schreiber (Hg.) Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften) und darum haben auch alle Therpieversuche keinen Erfolg, wie das traurige Schicksal von David Reimer zeigte.

Und nebenbei: Mit vielen Krebsmedikamenten lässt sich weitaus mehr verdienen als mit dem, was für Frauen in der Menopause umgesetzt wird und off-Label bei der Hormontherapie von Betroffenen mit NVSD. „Für einen Krebspatienten zahlen die Krankenkassen im Durchschnitt 74.000 Euro pro Jahr.“, aber einzelne Medikamente kosten bis zu 300.000 Euro für einen Patienten. (Quelle: https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/wie-teuer-duerfen-krebsmedikamente-sein/ Stand 6/2019, eingesehen am 10.8.2022)
Gleiches gilt bei der Chirurgie – auch da gibt es sehr lukrative Operationen (z.B. Knie, Hüfte), wie kritische Medien immer wieder berichteten. „Im statistischen Durchschnitt belaufen sich die Kosten für ein künstliches Kniegelenk auf zirka 8.000 bis 16.000 Euro pro Operation.“ (Quelle: https://www.med-library.com/kuenstliches-kniegelenk-kosten-knie-tep-alle-infos/ Stand 2017)
Im Blick auf geschlechtsbestätigenden Operationen ist die Kernfrage: Wie setzen sich die Kosten für eine geschlechtsbestätigende Behandlung zusammen. „Bei der Debeka zählen die 18-monatige Psychotherapie sowie die Epilation zu den dazugehörigen Anwendungen.“ (also zur Operation) (Quelle: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/versicherungen-hormone-ja-operation-nein-1.4965677 Stand: 7/2020). Der Nutzen der 18 Monate Psychotherapie ist zwar in keinster Weise wissenschaftlich belegt (d.h. es gibt dafür keinerlei gute wissenschaftliche Evidenz), aber treibt unterm Strich die Kosten in die Höhe.

Und noch etwas: Es gibt in der Tat Chirurgen, die zwar NVSD operieren, aber oft viele unerwünschte Operationsfolgen auf Grund mangelhafter Kenntnisse und Techniken haben. Und so kommt es, dass etliche betroffene Frauen mehr als 50 Nachoperationen hatten, weil der ursprüngliche Chirurg sein Fach nicht beherrschte. Mir sind persönlich mehrere bekannt, die mindestens 5 Nachoperationen brauchten und 2 mit über 50 Nachoperationen!
Wer so etwas mitbekommt (und in den entsprechenden Facebook-Gruppen wird durchaus über die Qualität von Chirurgen gesprochen), der würde freiwillig und ohne massiven Leidensdruck nie auf Grund der Werbung zu so jemandem gehen. Außerdem ist seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 der Zwang, sich operieren zu lassen, um die Personenstandsänderung durchführen zu können, aus dem Transsexuellengesetz gestrichen worden.

 

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